Sanft bließ ein seichter Wind durch die Gräser und Büsche des großen Baumes Teldrassil. Regentropfen suchten ihren Weg durch das dichte Geäst der Bäume, die zu dieser Jahreszeit farbenfroh wie selten strahlten. Frieden lag in der Luft, das erste Mal seit Jahrzehnten, und doch war es kein Tag wie jeder andere. Mit langsamen, vorsichtigen Schritten ging eine junge Elfe die schmale Straße nach Darnassus entlang. Immer wieder drehte Sie ihren Kopf nach links und rechts, horchte ob sich abseits der Straße etwas bewegte.
Der Weg von ihrem Geburtsort Dolanaar nach Darnassus, der prächtigsten Metropole ganz Kalimdors, war nur kurz und doch schien Lykaia bereits seit Stunden auf der Reise zu sein. Verheissungsvoll zog binnen weniger Minuten dichter Nebel auf und verdeckte so die Sicht auf viele Teile des zuvor offenen Geländes. Die Bäume verwandelten sich schlagartig in bizarre Figuren mit finsteren Fratzen, das Singen der Vögel verstummte. War sie ganz allein hier in der Wildnis?
Der Regen war stärker geworden und traf nun hart auf ihr zartes Gesicht. Sie senkte den Kopf, um ihre Augen zu schützen und erblickte zufällig einen hohlen Baumstamm nahe einer kleinen Brücke. Sie hatte erst die Hälfte ihrer Reise hinter sich und beschloss in dem Baumstamm Unterschlupf zu suchen, bis das Wetter aufgeklart hatte.
Vorsichtig kroch sie hinein und überblickte kurz den Grund. Der Boden war aus trockenem Erdreich, der Stumpf hatte sonst keine Löcher. Mit einem sicheren Gefühlt hockte sie sich auf den Boden und blickte in den Wald. Sie konnte keine anderen Lebewesen ausmachen. Zu hören war nur das Rauschen des Regens. Die Blätter der Eichen wippten im Takt des Regens, lösten sich durch die dicken Tropfen vereinzelt und glitten anmutig zu Boden. Zwischen den Halmen der Gräser und Schaaren kleiner Pilze blieben sie liegen, Gefallene in der Schlacht. Lykaia beugte sich aus ihrem Versteck und sah Richtung Himmel: Er war dunkel und wolkenbehangen. Es würde vielleicht noch Stunden dauern, bis der Regen aufhören würde und sie hatte doch dringendes zu erledigen! Sie stand auf und bemerkte erst in diesem Augenblick wie groß der Baum, in dessen Mitte sie stand, wirklich war. Sie konnte aufrecht stehen und es hätten vielleicht noch zehn oder zwölft ihrer Freunde Platz gefunden. Sie trat wieder hinaus in den Regen und schaute sich den großen Baum an. Sie schritt mehrere Mal um den Stamm und strich mit der Hand über die grobe Rinde. Der Baum war alt und schwach, doch sie konnte eine starke Macht in ihm spüren. Er war keinesfalls tot, seine Seele hauste noch immer in dieser irdischen Hülle. Lykaia lacht und verabschiedete sich von dem Baum. Sie wollte gleich am nächsten Tag wiederkommen, das versprach sie dem Baum.